Die Kommunalen Landesverbände Baden-Württembergs haben gemeinsam mit Staatssekretär Florian Hassler am 29. November 2023 in die baden-württembergische Landesvertretung eingeladen. Im Fokus stand dabei die Zukunft der Kohäsionspolitik. Dabei diskutierten Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Ebene Baden-Württembergs, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, um die zukünftige Ausrichtung der Kohäsionspolitik nach 2027 zu beraten. Dabei einte die Diskutantinnen und Diskutanten die Notwendigkeit für eine solidarische Kohäsionspolitik, die alle Regionen in Europa auch in Zukunft einbeziehen müsse.

Was hält uns in Anbetracht der multiplen Krisen zusammen?

Peter Berkowitz, Direktor der Generaldirektion Regionalpolitik und Stadtentwicklung (REGIO) der Europäischen Kommission, skizzierte in seiner Keynote die zentrale Frage, was Europa inmitten der multiplen Krisen zusammenhalte. Dabei nehme eine funktionierende und vorausschauende Kohäsionspolitik eine wichtige Rolle ein, die sich an unterschiedlichen Prinzipien orientiere: die Ausrichtung an alle Regionen; die Anpassung an örtliche Gegebenheiten und die Berücksichtigung regionaler Unterschiede; die Betonung des Multi-Level-Governance-Ansatzes und die Relevanz des Partnerschaftsprinzips. Das sind unter anderem die Ergebnisse der Gruppe von Expertinnen und Experten, die die Kommission zur Zukunft der Kohäsion einberufen hat.

Offenheit für Veränderung

Aus Sicht der Kommission bestehe grundsätzlich die Offenheit für Veränderungen in der Art und Weise, wie die europäische Kohäsionspolitik gebaut werde. Dabei müssten jedoch alle beteiligten Akteure dieses Interesse gemeinsam teilen. Anpassungen könnten sich unter anderem in folgenden Bereichen ergeben: die Forderung nach flexibleren und einfacheren Förderungen, die Berücksichtigung nicht nur finanzieller, sondern auch weiterer Indikatoren zur Festlegung der Definition von regionalen Unterschieden, eine bessere horizontale und vertikale Integration von europäischer Politik und der Kohäsion und die verstärkte Abstimmung mit der Aufbau- und Resilienzfazilität.

Herausforderungen der baden-württembergischen Kommunen

Die Kommunen sind mit zahlreichen Gesetzesvorhaben auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene konfrontiert. Gleichzeitig haben sie in den letzten zehn Jahren mit verschiedenen Krisen, von geopolitischen bis zu globalen Finanz-, Wirtschafts-, Gesundheits-, Klima- und Energiekrisen, zu kämpfen. Die anhaltenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, die hohe Inflation in der Eurozone und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beeinträchtigen zudem die Handlungsfähigkeit der Kommunen bei der Sicherstellung demokratischer Teilhabe und lebenswichtiger Dienstleistungen. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, wird eine Fokussierung auf das Wesentliche, Notwendige und Machbare für die kommunale Ebene gefordert. Dies gilt auch für die Kohäsionspolitik. In der gemeinsamen Podiumsdiskussion stellte Prof. Dr. Matthias Knecht, Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg und Mitglied im Europa-Pool der Kommunalen Landesverbände, die Notwendigkeit zur Mobilisierung von privatem Kapital dar, um die enormen Kosten für die Transformation zur Klimaneutralität zu stemmen. Dies müsse in Partnerschaft mit der öffentlichen Hand funktionieren. Katja Fischer, Bürgermeisterin der Stadt Trochtelfingen und Mitglied im Europa-Pool der Kommunalen Landesverbände, forderte eine gerechtere Verteilung von Fördermitteln sowie Vertrauen in kommunale Projektträger, insbesondere bei LEADER. Der Hauptgeschäftsführer des baden-württembergischen Landeskreistages, Prof. Dr. Alexis v. Komorowski, betonte die Notwendigkeit finanzieller Unterstützung auch für wirtschaftlich starke Regionen, da hier die Auswirkungen der Transformation sich stark niederschlagen, aber die europäische Kohäsionspolitik aktuell darauf noch keine umfassende Antwort biete. Im Ausschuss für regionale Entwicklung des Europäischen Parlamentes setzt sich Matthias Ecke (SPD, Sachsen) für eine Kohäsionspolitik ein, die weiterhin solidarisch alle Regionen adressiere. In der von Patrick Wegener, Leiter des Europabüros der baden-württembergischen Kommunen, moderierten Diskussionsrunde wurde klar, dass eine Kohäsionspolitik mit den richtigen Antworten auf die Zukunft nicht von allein komme, sondern jetzt nach und nach aktiv die Interessen gegenüber der Kommission, dem Parlament und den Mitgliedstaaten im Rat vertreten werden müssten.

Europa muss zusammenhalten

Steffen Jäger, Präsident und Hauptgeschäftsführer des baden-württembergischen Gemeindetages stellte in seinem Ausblick klar, dass die Europäische Union vor großen Veränderungen stehe: Herausforderungen wie die Digitalisierung, der Klimawandel und die derzeit stattfinden geopolitischen Machtverschiebungen wirken sich im hohen Maße auf die Politik, die Gesellschaft und die Kommunen aus. Um diese großen Aufgaben zu bewältigen, bedarf es einer intensiven partnerschaftlichen Zusammenarbeit aller staatlichen Ebenen auf Augenhöhe – zwischen Brüssel, Berlin, Stuttgart und den Kommunen. Diese Partnerschaft gelte es bei der Kohäsionspolitik zu intensivieren, um gemeinsam die notwendigen Antworten auf die Herausforderungen von morgen zu finden. Dabei müsse in einem ersten Schritt eine solidarische Kohäsionspolitik stehen, die alle Regionen und Kommunen in der EU im Blick behalte.

Diskussion zum richtigen Zeitpunkt

Die Kommunalen Landesverbände haben sich mit ihrem Positionspapier und der Veranstaltung in Brüssel zum richtigen Zeitpunkt eingebracht, da die Diskussionen zur Zukunft der Kohäsionspolitik immer konkreter anlaufen. So hat am gleichen Tag der Ausschuss der Regionen seine Stellungnahme zur Zukunft der Kohäsionspolitik angenommen und am Tag danach die Mitgliedstaaten im Rat mit den ersten Schlussfolgerungen. Die Kommission wird ihren 9. Kohäsionsbericht im Frühjahr 2024 vorstellen. Dabei gilt es weiterhin, sich aktiv in die Ausarbeitung der Kohäsionspolitik und der europäischen Finanzen von morgen einzubringen, um sicherzustellen, dass die Regionen und Kommunen dabei mit am Tisch sitzen.

Patrick Wegener, Leiter des Europabüros der baden-württembergischen Kommunen

Jonathan Koch, stellv. Leiter des Europabüros der baden-württembergischen Kommunen

Lukas Hochländer, Praktikant im Europabüro der baden-württembergischen Kommunen, Student Public Management B. A. in Kehl